Auch wenn es hier nicht explizit genannt ist, scheint die Passage sich auf das deutsch-russische Verhältnis zu beziehen. Entspannungspolitik kann nur funktionieren, wenn beide Seiten Bereitschaft zeigen. Angesichts der aktuellen russischen politischen Führung, die Auftragsmorde in der EU verüben lässt, in der europäischen Nachbarschaft unilateral militärisch vorgeht, erst letzte Woche Borrell in Moskau auflaufen ließ, und innenpolitisch immer härter gegen ihre eigenen Bürger*innen vorgeht, ist eine solche russische Bereitschaft stark anzuzweifeln. Eine einseitige Entspannungspolitk, die das alles ignoriert, würde der russische außenpolitische Aggression und den menschenverachtenden Autoritarismus nur Vorschub geben. Stattdessen sollten wir an der Seite der russischen Zivilgesellschaft stehen. Daher plädiere ich dafür, die Entspannungspolitik rauszunehmen und stattdessen Frieden, Sicherheit und Menschenrechte zu nennen.
Diese Tabelle beschreibt den Status, die Antragstellerin und verschiedene Rahmendaten zum Änderungsantrag
Antrag: | Formulierungen für das BTWP21 - Friedenspolitik |
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Antragsteller*in: | Sonja Katharina Schiffers (KV Berlin-Mitte) |
Status: | Geprüft |
Eingereicht: | 22.02.2021, 16:10 |
Kommentare
Thomas Schmidt:
Grüne Außen- und Sicherheitspolitik, die zu Recht den Anspruch erhebt, in Regierungsverantwortung deutsche und europäische Interessen zu verfolgen, deren Bestimmung demokratisch legitimiert ist, den Interessen des Landes und der Allgemeinheit dient und mit den Grünen Wertvorstellungen im Einklang steht, muss wissenschaftlich begründet sein, auf einer realistischen Analyse fußen, dabei den Fokus auf die wichtigsten Bedrohungen und strategischen Herausforderungen legen und in diesem Sinne zukunftsfähig sein. Andernfalls wird sie die gesetzten Ziele nicht erreichen oder schlimmstenfalls sogar Ergebnisse hervorbringen, die völlig konträr zu den gesetzten Zielen stehen.
Das, was der Partei bei der Annahme der strategischen Herausforderung “globale Erderwärmung” mit zukunftsweisenden, realistischen und zielführenden Lösungsansätzen und damit auch weite Teile der Gesellschaft überzeugenden Politikangeboten gelungen ist, steht auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik leider noch aus.
So falsch es ist, unsere Werte, insbesondere im Bereich von Demokratie und Menschenrechten, einem kühlen, machtpolitischen Pragmatismus zu opfern, so falsch ist auch das Gegenteil davon.
Wenn wir nur für solche Konzepte von Frieden und Sicherheit eintreten, welche die Förderung und Wahrung von Menschenrechten einschließen, werden wir am Ende weder Menschenrechte verteidigt, noch Frieden und Sicherheit gefestigt haben, sondern unter Umständen gegenteilige Entwicklungen befördern, und bestehende existenzielle Risiko einer nuklearen Katastrophe dramatisch erhöhen.
In einem nuklearen Winter ist die Frage nach Menschenrechten obsolet geworden.
Die Beziehungen zwischen dem Westen unter US amerikanischer Führung oder Vorherrschaft und Russland sind auf einem Tiefpunkt. Das schließt die EU mit ein. Die Spannungen wachsen in einem Maße, wie das nach dem Ende des kalten Krieges und dem Zusammenbruch der Sowjetunion unvorstellbar war. Der illusionäre Glaube, das läge nur an der russischen Seite und insbesondere am Autokraten Putin, ist eine beispiellose Fehleinschätzung. Das verbaut den Blick auf wichtige Lösungsansätze.
Die kluge Formulierung von Egon Bar, nach der die USA unverzichtbar und die Sowjetunion unverrückbar seien, gilt auch heute und auch für Russland.
Rückbesinnung auf Entspannungspolitik und die Berücksichtigung von Sicherheitsinteressen aller Länder, einschließlich und insbesondere der Sicherheitsinteressen Russlands, sind zwingend notwendig. Sicherheit in Europa und in der Welt ist nicht gegen Russland - im Übrigen auch nicht gegen China - möglich.
Daher ist, bei allem gebührenden Respekt für die Autorin, der Gedanke, Entspannungspolitik als Gegensatz zum Eintreten für Demokratie und Menschenrechte zu verstehen, fundamental falsch. Im Gegenteil lehrt die Geschichte, dass Entspannungspolitik im kalten Krieg, damals heftig von den Konservativen bekämpft, am Ende für Millionen neue EU Bürger Demokratie und Menschenrechte erst möglich gemacht hat.
Sonja Katharina Schiffers:
Eine monokausale Erklärung, die den Zerfall der Sowjetunion allein oder primär in der Entspannungspolitik sieht, möchte ich entschieden zurückweisen, denn sie ignoriert den mutigen Kampf für Demokratie und Menschenrechte der Dissident*innen und breiten Bevölkerungen in der Region. Von dessen essentieller Rolle sollte uns die Geschichte eigentlich eigentlich ebenfalls lehren.
Thomas Schmidt:
Und natürlich sind monokausale Erklärungen immer per se falsch, aber ich behaupte auch nicht, dass das Ende des kalten Kriegs monokausal durch die Entspannungspolitik hervorgerufen wurde. Da ich aber selbst damals ein (wenn auch winziges, kleines) Teil dieser Bewegung für Demokratie und den Sturz der Politbürokratie der SED war, kann ich versichern, dass die Entspannungspolitik von Brandt und Bahr sehr gut und hilfreich für unsere Demokratiebewegung war.
Andreas Meinicke:
Thomas Schmidt:
Es geht darum, dass Status und die Dynamik der Spannungen und Konfronation zwischen den USA und NATO auf der einen und der Russischen Förderation und ihren Verbündeten auf der anderen Seite inzwischen selbst eine größere Bedrohung manifestieren, als die einer angenommenen militärischen und/oder hybriden Aktion durch Russland. Die vielen Fehleinschätzungen - insbesondere auf unserer Seite (und nur auf die haben wir u. U. einen Einfluß) - hinsichtlich der Ziele, Strategien und Mittel der Opponenten, sind Teil des Problems. Diese Situation ist besonders gefährlich unter den Bedingungen fast völlig kollabierter Rüstungskontrolle und eines schon begonnenen neuen technologisch getriebenen Wettrüstens mit der Einführung von AI, Autonomy und Cyber-Fähigkeiten in militärische Zusammenhänge, von Hypersonic Missiles, neuen Sprengköpfen mit kleiner Sprengkraft und hoher Zielgenauigkeit und neuen Nuklearstrategien, die Atomwaffen als Mittel der Kriegsführung in einem begrenzten, mit Kernwaffen geführten Konflikt in Europa vorsehen.
Entspannungspolitik ist vor diesem Hintergund gesehen zwingend erfoderlich und unverzichtbar. Sie bedeutet ein Bündel konkreter Maßnahmen, die zu Spannungsabbau, Vertrauensbildung und Risikominderung führen. Dies muß einschließen, die eigene Bedrohungsanalysen zu qualifizieren, gegenerische Sicherheitsinteressen zu erkennen und den strategischen Dialog zwischen den beiden nuklearen Großmächten, die ca. 90% aller Nuklearwaffen besitzen und jeweils ca. 1500 davon permanent einsatzbereit halten, neu zu initiieren.
Diese Sicht ist inzwischen allgemein und weit verbreiteter Konsens in der Wissenschaft und es nicht einzusehen, wieso Grüne Außen- und Sicherheitspolitik hier in alten Befangenheiten festhängen soll.
Ein Beispiel zum Nachlesen: https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/sonstiges/NATO_Russia_Military_Risk_Reduction_in_Europe_Expert_Dialogue_Recommendations.pdf